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Ich Einkauf, Du Logistik – Die Trennung von Unternehmensfunktionen führt unter Supply Chain-Aspekten zu suboptimalen Ergebnissen.

Obwohl die Disziplin ‚Supply Chain Management‘ aus prozessualer Perspektive Aspekte aus Einkauf und Logistik vereint, existieren beide Funktionen in den meisten fertigenden Unternehmen in der Form getrennter organisatorischer Bereiche. Dieser Tatbestand wurde bisher meist als gegeben hingenommen und unter gesamtheitlichen Aspekten kaum hinterfragt.

Die Supply Chain Management Fakultät der University of Tennessee hat sich mit diesem Thema näher beschäftigt und Interessantes herausgefunden: „We have met the enemy and he is us …!“

‚Bending the Chain‘ – Das ‚Verbiegen‘ der Wertschöpfungskette führt zu besseren Ergebnissen auf Unternehmensebene

In der Studie  wurden per Fragebogen gezielt Einkaufs- und Logistik-Manager aus zahlreichen verschiedenen Industriezweigen angesprochen. Hierzu zählten neben den größten fertigenden Industrien, wie der Automobil-Branche, dem Luft- und Raumfahrtsektor, der chemischen Industrie und High Tech auch der Finanz- und Bankenbereich, die Telekommunikationssparte und der Transport-Sektor.

Der Fragebogen enthielt spezifische Fragestellungen in Bezug auf die Rollen, Aufgaben und Ziele der Manager. Der Schwerpunkt lag jedoch darauf, herauszufinden, welche Relevanz die Geschäftsstrategie des Gesamtunternehmens für die Bereichsstrategie hat, und inwieweit die Logistik- und die Einkaufsstrategie hieran orientiert und aneinander ausgerichtet sind.

Der Begriff „Verbiegen“ meint in diesem Zusammenhang das einheitliche, konsequente Ausrichten der Funktionen Source (beziehen/einkaufen), Make (produzieren) und Deliver (ausliefern / transportieren / Logistik) auf die Geschäftsstrategie des Unternehmens. Diejenigen Unternehmen, die das ‚Verbiegen‘ in diesem Sinne besonders gut hinbekommen, erzielen auf Gesamtunternehmensebene die besten Ergebnisse.

Die Haupterkenntnisse der Studie waren:

  1. Einkauf und Logistik wurden von fast 60 Prozent der Unternehmen zwar als Einheiten in einer übergreifenden Supply-Chain-Organisation angeordnet, existieren dort jedoch als eigenständig operierende, getrennte Funktionen.
  2. Einkauf und Logistik sind eigenständig und unabhängig voneinander gut an den Unternehmenszielen ausgerichtet,  jedoch gibt es meist keine gemeinsamen Strategien und Aktivitäten.
  3. Ungeachtet eines existierenden formellen, organisatorischen Bezugs zwischen Einkauf und Logistik läuft die Interaktion zwischen beiden Bereichen informell und unstrukturiert ab.
  4. Die bewusste Einrichtung offener Kommunikationslinien ist die am häufigsten stattfindende Art und Weise, um die Integration zu verbessern. Diese Interaktion findet jedoch meist unsystematisch statt.

Folgende Maßnahmen gingen aus der Studie als Best Practices hervor und können somit als Orientierung für das eigene Unternehmen dienen:

  1. Bilden Sie durchgängige Supply-Chain-Organisationen, die den gesamten Wertschöpfungsprozess in integrierter Form, ohne organisatorische Hürden abwickelt (‚fully integrated supply chain organization‘)
    Den erfolgreichsten Unternehmen in Bezug auf Kundenorientierung, Qualität des Kunden-Service, Produkt-Qualität, Kosteneffizienz, Liquidität und Profitabilität gelingt es besser, die wesentlichen Unternehmensfunktionen, also Einkauf, Logistik, Produktion/Fertigung, Entwicklung und Qualitätswesen im Sinne durchgängiger Suppl-Chain-Prozesse miteinander zu verzahnen. Organisatorisch gelingt dies über die Etablierung eines zentral verantwortlichen Bereichs für Supply Chain Management, an dessen Leiter die Funktionsverantwortlichen berichten. An Supply Chain-Projekten und anstehenden Entscheidungen sollten möglichst interdisziplinäre Teams arbeiten, um sicherzustellen, dass die übergreifende Sicht nicht verloren geht.
  2. Stellen Sie Supply-Chain-Expertise und funktionsübergreifendes Management in den Vordergrund
    Supply-Chain-Führungskräfte in den erfolgreichsten Unternehmen legen bei der Zusammenstellung und der Steuerung ihrer Teams Wert auf funktionsübergreifende Sichtweisen und Fähigkeiten. Detailwissen in einer bestimmten Disziplin ist weiterhin gefragt, jedoch nur im Kontext einer integrierten Prozessabwicklung.
  3. Etablieren Sie ein Einkaufs- und Logistiknetzwerk, das als Basis für operative Entscheidungen nicht den Einkaufspreis, sondern den TVO – Total Value of Ownership – hat
    Viele operative Entscheidungen, die Lieferanten betreffen, werden in den weniger erfolgreichen Unternehmen vom Einkauf getroffen und orientieren sich vorrangig am Stückpreis. Die Auswahl und Bewertung von Lieferanten erfolgt in den erfolgreicheren Unternehmen jedoch nicht nur preis- und kostenorientiert, sondern schließt Kriterien ein wie den ‚Partnerschafts-Wert‘ (bestehend aus Kundenzufriedenheit und Lieferantenzufriedenheit), den ‚langfristigen Wert‘ (einschließlich der Innovationsfähigkeit eines Lieferanten) und die Nachhaltigkeit (bestehend aus Umweltaspekten, sozialen und ethischen Aspekten und Compliance).
  4. Implementieren Sie für eine erfolgreiche Zusammenarbeit Ihrer multifunktionalen Supply-Chain-Teams effektive Prozesse und die richtigen Informationssysteme
    Auch die fähigsten Mitarbeiter können ohne effiziente Prozesse und relevante Informationen keine optimalen Ergebnisse erzielen. Die Bereitstellung von Supply-Chain-Informationen nimmt in diesem Kontext eine besondere Bedeutung ein, da diese teilweise nur von den externen Geschäftspartnern – im Falle des Einkaufs von den Lieferanten – geliefert werden können. Für die Auswertung und Aggregierung von Bewertungsdaten ist es wichtig, diese Informationen möglichst elektronisch bereitgestellt bekommen, damit sie ohne manuelle Aufwände automatisiert verarbeitet werden können.

Quintessenz für das Supply Chain Management

Supply Chain Management scheint in vielen Unternehmen immer noch nicht als eigene Disziplin angekommen zu sein. Es mehren sich allerdings die Hinweise, dass eine klassisch funktionsorientiere Unternehmens­strukturierung ohne dedizierte, prozessual integrierend wirkende Supply-Chain-Abteilung den aktuellen Anforderungen global orientierter Unternehmen nicht mehr gerecht werden kann. Die hierin zusammengefasst Studie der University of Tennessee ist ein weiterer Indikator für diese These.

Obgleich die Studie keinen konkreten IT-Bezug hat, wird als Best Practice-Maßnahme klar herausgestellt, dass die richtigen IT-Systeme eine wichtige Komponente im Gesamtkonstrukt der Erfolgsmaßnahmen sind. Dies ist weit weniger erstaunlich als die Tatsache, dass bei sehr vielen Entscheidungen für Supply-Chain-Planungs- oder Informationssystemen die IT-Abteilung eines Unternehmens die führende oder eine sehr prominente Rolle einnimmt.

Erstaunlich ist dies insofern, als die Werthaltigkeit eines Software-Systems im Supply-Chain-Umfeld und der Business Case, der mit einer solchen Lösung erzielt werden kann, häufig von Faktoren abhängt, die entweder nicht vom auswählenden Unternehmen isoliert beeinflusst werden können oder nichts mit der Software selbst zu tun haben.

Hierzu zählen die Akzeptanz und Mitarbeit der externen Supply-Chain-Partner (Lieferanten, Kunden, Spediteure, etc.) und ein fundiertes Betreuungskonzept, ohne das nicht sichergestellt werden kann, dass die externen Partner die erforderliche Befähigung bekommen, das System überhaupt bedienen zu können. Im Supply-Chain-Umfeld kann ohne die aktive Mitwirkung der Supply-Chain-Partner kein Projekt zum Erfolg geführt werden.

Insofern bleibt einerseits zu hoffen, dass die Disziplin ‚Supply Chain Management‘ als eigenständige Funktion in deutlich mehr international agierende Unternehmen Einzug finden wird. Um kritische Fehlentscheidungen zu vermeiden wäre andererseits zu wünschen, dass die multifunktionalen Supply-Chain-Teams auch bei der Bewertung und Auswahl von Supply-Chain-IT-Systemen eine deutlich gewichtigere Rolle einnehmen.    

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